202109.09
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Der Vorschaden beim Verkehrsunfall

Ein ganz aktuelles Problem: Nach einem Verkehrsunfall legt der Geschädigte ein Gutachten vor. Der Sachverständige hat darin festgestellt, dass das Fahrzeug einen Vorschaden hatte. Ein normaler Vorgang. Aber plötzlich verweigert die Haftpflichtversicherung des Schädigers die Bezahlung. Sie behauptet, dass der jetzige Schaden vom Vorschaden nicht abgrenzbar ist. In diesem Artikel erklärt Ihnen Herr Rechtsanwalt Jarno C. Kirnberger, Fachanwalt für Verkehrsrecht, welche Voraussetzungen für die erfolgreiche Abwicklung eines Unfallschadens bestehen, wenn das Auto schon einen Schaden hat oder hatte. Der Artikel zeigt, dass die Durchsetzung berechtigter Ansprüche ohne anwaltliche Hilfe in der Praxis zum Scheitern verurteilt ist.

 

1. Definition: Verkehrsunfall mit Vorschaden

Die Gerichte verstehen unter einem Vorschaden eine reparierte Beschädigung am Fahrzeug. Dieser Schaden muss nicht zwangsläufig durch einen Unfall entstanden sein. Als Unfall gilt landläufig ein von Außen einwirkendes, plötzliches und unerwartetes Ereignis, das zu einem Schaden führt. Auch selbst verursachte Schäden, wie zum Beispiel der Kontakt mit einer Mauer, einem Poller oder ähnliches fallen unter diesen Begriff. Es geht im Ergebnis nur darum, ob das Auto schon einmal „kaputt“ war. Der Geschädigte, bzw. sein Gutachter müssen davon andere Arten der Beschädigung abgrenzen.

  • Einerseits reine Gebrauchsspuren. Diese entstehen durch den normalen Gebrauch des Fahrzeugs zum eigentlichen Zweck. Ob es sich um einen Vorschaden oder eine Gebrauchsspur handelt, hängt davon ab, ob die Beschädigung für den konkreten Zustand des Autos (nach Alter, Laufleistung, Vorbesitzer, etc) üblich ist. So sind Steinschläge an der Motorhaube ab einem gewissen Alter normal. Aber auch kleine Parkrempler oder Streifschäden gehören bei gebrauchten Autos irgendwann dazu.
  • Andererseits gibt es Altschäden. Also nicht oder nur teilweise reparierte Schäden am Auto, die über das Maß der reinen Gebrauchsspuren hinaus gehen. Diese können mit dem bloßen Auge erkannt werden, müssen es aber nicht. So ist eine nicht nach den Herstellervorgaben beseitigte Delle nicht unbedingt sach- und fachgerecht. Sie ist also nicht als Vorschaden zu charakterisieren.

Die Abgrenzung ist im Einzelfall sehr schwer. Deswegen muss jeder Geschädigte stets sein Recht auf einen eigenen Gutachter wahrnehmen.

Tip: Das Recht auf einen eigenen Sachverständigen besteht sogar dann, wenn die Versicherung das Auto schon begutachtet hat. Auch dann, wenn der Geschädigte ausdrücklich damit einverstanden gewesen ist.



2. Bedeutung

Die Haftpflichtversicherungen machen nichts Neues. Die Problematik des Vorschadens ist so alt wie die Unfallregulierung selbst. In die Diskussion ist sie durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19. Oktober 2019 – VI ZR 377/18 gekommen. Dort ging es um einen Vorschaden, der dem Geschädigten nicht einmal bekannt gewesen ist. In den ersten Instanzen hatte er kein Glück. Erst der BGH hat entschieden:

 „Behauptet der Geschädigte eines Verkehrsunfalls, von einem eventuellen Vorschaden selbst keine Kenntnis und den beschädigten Pkw in unbeschädigtem Zustand erworben zu haben, kann ihm nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die er kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Der Geschädigte ist deshalb grundsätzlich nicht gehindert, die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur des Vorschadens zu behaupten und unter Zeugenbeweis zu stellen. Darin liegt weder eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht noch ein unzulässiger Ausforschungsbeweis.“



3. Anforderungen an den Geschädigten

Danach haben die Oberlandesgerichte (OLG) der Republik ihre Rechtsprechung angepasst. Es gibt mehrere Fallgruppen, die unterschiedlich hohe Hürden bei der Durchsetzung des Unfallschadens mit sich bringen:
 

a) Unreparierter Vorschaden außerhalb des Neuschadensbereichs

Der „Altschaden“ ist unproblematisch. Nur für die Bewertung von Wiederbeschaffungswert und Restwert muss er berücksichtigt werden. Das wiederum ist relevant für die Frage, wann ein Reparaturschaden oder ein Totalschaden vorliegt.
 

b) Unreparierter Vorschaden im Bereich des Neuschadens

Wenn sich alte und der neue Schaden überlagern, wird es bereits kompliziert. Der Geschädigte muss vortragen und beweisen, dass durch den neuen Schaden eine weitergehende Beschädigung eingetreten ist. Wenn es ein Gutachten zum Vorschaden gibt, ist das einfach. Wenn nicht, muss der Geschädigte so genau wie möglich zum Vorschaden vortragen. Andernfalls hat er das Problem, dass eine Abgrenzbarkeit nicht gegeben ist. Die Folge: Kein Ersatz des neuen Schadens.

Tip: Der BGH (BGH DAR 90, 224 = zfs 90, 258) lässt bei einer Abgrenzungsunsicherheit einen Abschlag zu, der durch das Gericht geschätzt werden kann.


c)  Angeblich reparierter Vorschaden außerhalb des Neuschadensbereichs

Die Fallgruppe ist, ähnlich wie a) nur dann relevant, wenn ein Einfluss auf den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) entsteht. Dann reicht es aber aus, wenn der Geschädigte Angaben zur Entstehung macht und behauptet, dass eine sach- und fachgerechte Reparatur erfolgt ist. Alles andere würde, so das OLG Hamm überzogene Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast bedeuten.
 

d)  Angeblich reparierter Vorschaden im Bereich des Neuschadens

Hier liegt ein Überlagerungsfall mit den größten Schwierigkeiten vor. Nur wenn ganz klar ist, wie das Fahrzeug zuvor beschädigt war und wie die Reparatur durchgeführt worden ist, kann ein Sachverständiger den neuen Schaden feststellen. Es reicht nicht, wenn die Reparatur nur behauptet wird. Die Gerichte wollen vom Geschädigten ganz genau wissen, wer was und wie instand gesetzt hat. Sonst geht er leer aus.

Tip: Hier hilft dem Geschädigten die eingangs erwähnte Entscheidung des BGH. Wenn der Schaden beim Vorbesitzer eingetreten ist und der Besitzer nicht in der Lage ist, Angaben zu machen, reicht es aus, wenn er die Reparatur behauptet.