202111.10
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Unfall : Ein „ Unechter Totalschaden “

Die meisten Stolpersteine nach einem Unfall bringt ein so genannter Unechter Totalschaden für den Geschädigten mit sich. Dieser Fall ist für die Haftpflichtversicherungen der Schädiger eine von vielen Möglichkeiten, Geld zu sparen und die Regulierung zu verzögern.

Inhalt:

  1. Was steckt dahinter?
  2. Definition
  3. Wie stelle ich diese Werte fest?
  4. Was steckt hinter den Begriffen:
    Wiederbeschaffungswert
    Restwert
    Reparaturkosten
    Wertminderung
  5. Beispiel Berechnung
  6. Was kann der Geschädigte verlangen?
 

1. Was steckt dahinter?

Unfallschäden können in zwei große Kategorien eingeteilt werden:

  • Totalschäden
  • Reparaturschäden

Ein Totalschaden liegt grundsätzlich dann vor, wenn die Reparatur unmöglich oder unwirtschaftlich ist. Unmöglich ist sie, wenn das Fahrzeug durch den Unfall derart stark beschädigt wurde, dass es nicht mehr sach- und fachgerecht repariert werden kann. Unwirtschaftlich ist sie, wenn die Reparaturkosten (brutto) zuzüglich einer eventuellen Wertminderung höher als der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs sind. Ausnahmen sind hier möglich.

Ein Reparaturschaden liegt grundsätzlich dann vor, wenn die Reparatur sach- und fachgerecht durchgeführt werden kann und die Reparaturkosten (brutto) zuzüglich einer eventuellen Wertminderung niedriger als der Wiederbeschaffungsaufwand sind.

 

2.Was ist aber ein unechter Totalschaden ?

Bei einem Verkehrsunfall hat der Geschädigte einen Anspruch darauf so gestellt zu werden, als ob das schädigende Ereignis (also der Unfall) nicht passiert wäre. Dabei muss der Schädiger den Betrag ersetzen, der gem. § 249 BGB erforderlich ist, um den Schaden zu beseitigen. Dieser Betrag ist aber begrenzt auf das so genannte Integritätsinteresse des Geschädigten. Außerdem darf der Geschädigte nicht wirtschaftlich unvernünftig handeln. Ansonsten verstößt er gegen seine Schadenmidnerungspflicht gem. § 254 BGB. Der Bundesgerichtshof (BGH) definiert dies so:

Reparaturkosten für eine Teilreparatur, die über dem Wiederbeschaffungsaufwand des Fahrzeugs liegen und den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, können in diesen Fällen ebenfalls nur dann zuerkannt werden, wenn diese Reparaturkosten konkret angefallen sind oder wenn der Geschädigte nachweisbar wertmäßig in einem Umfang repariert hat, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigt; anderenfalls ist die Höhe des Ersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt (Senatsurteil BGHZ 162, 170).

Maßgeblich ist für die Entscheidung dieses Falles also der Wiederbeschaffungsaufwand. Das ist die Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert und dem Restwert des Fahrzeugs. Liegen die Brutto-Reparaturkosten zuzüglich einer Wertminderung über dieser Grenze, darf der Schädiger den Unfall grundsätzlich als Totalschaden abrechnen. In einer Grafik kann man das wie folgt darstellen:

Tip:
In der Literatur (und im Internet) wird der Unechte Totalschaden auch als Synonym für einen Neuwagenersatz genannt. Dies nur zur Vervollständigung; Soll in diesem Artikel aber nicht das Thema sein.

 

3. Wie stelle ich diese Werte fest?

Das ist Aufgabe Ihres Sachverständigen. Jeder Geschädigte hat bei einem Unfall das Recht, einen eigenen Sachverständigen zu beauftragen.

Tip 1:
Dieses Recht sollte jeder in Anspruch nehmen, um zu verhindern, dass Versicherungen mit eigenen Gutachtern den Schaden schnell mal zu einem Totalschaden „herunterrechnen“. Eine Grenze muss natürlich beachtet werden: Der Geschädigte verstößt gegen seine Schadenmidnerungspflicht, wenn er einen Gutachter beauftragt, obwohl erkennbar nur ein Bagatellschaden vorliegt. Diese Grenze ist fließend. Bei unter 750 EUR wird man aufpassen müssen. Die Gerichte sehen dies unterschiedlich. Das Landgericht Saarbrücken (Urteil vom 17.11.2021 – 13 S 45/17) sieht bei einer Schadenhöhe von 630,78 EUR noch eine Erstattungsfähigkeit von Gutachterkosten. Der Bundesgerichtshof hatte vor langer Zeit einmal eine Grenze bei 1.500,00 DM gezogen. Die Grenze ist aber auch vor dem Hintergrund der technischen Veränderungen bei der Unfallreparatur fließend. Der Leitsatz des BGH lautete:

Für die Beurteilung, ob die Kosten eines Sachverständigengutachtens zum erforderlichen Herstellungsaufwand gehören und vom Schädiger zu ersetzen sind, kann im Rahmen tatrichterlicher Würdigung auch die von dem Gutachter ermittelte Schadenshöhe berücksichtigt werden.

Also: Immer eine Frage des Einzelfalles!

Tip 2:
Der Geschädigte darf sogar einen Gutachter beauftragen, wenn die gegnerische Haftpflichtversicherung bereits einen eigenen Sachverständigen mit der Schadenfeststellung beauftragt hatte. Der Schädiger ist dann trotzdem verpflichtet, die Kosten für das Gutachten zu übernehmen. Das hat unter anderem das Amtsgericht München mit Urteil vom 24. Juli 2017 – 335 C 7525/17 entschieden. Einig sind sich die Gerichte darin, dass es sich um eine Frage der Waffengleichheit handelt. Also ähnlich wie bei der Frage, ob der Geschädigte die Kosten eines Rechtsanwalts erstattet bekommt: Ein ganz klares ja!

 

4.Was steckt hinter den Begriffen?

 

Wiederbeschaffungswert

Das ist der Betrag, den der Geschädigte für den Kauf eines gleichwertigen gebrauchten Kraftfahrzeugs (Kfz) aufwenden muss; Maßgebend für den Wiederbeschaffungswert ist nicht der Zeitwert des Kfz unmittelbar vor einem Unfall, d.h. der Wert, den der Eigentümer bei einem Verkauf erzielt hätte, sondern der Wert, der beim Kauf auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu zahlen gewesen wäre.

 

Restwert

Das ist der Betrag, der für das unfallbeschädigte Fahrzeug erzielt werden kann. Hier gibt es regional aber auch international große Unterschiede. Der Gutachter ermittelt den Wert, indem er das beschädigte Fahrzeug in einer so genannten Restwertbörse anbietet. Das höchste Gebot nach 3 Tagen wird in das Gutachten übernommen.

Tip:
Der Geschädigte darf das Fahrzeug nach dem regionalen Restwert veräußern. Er muss selbst keine überregionalen oder internationalen Angebote einholen. Wenn aber die Versicherung ein solches Angebot übersendet, muss er im Rahmen der Schadenminderungspflicht darauf eingehen, solange das Auto nicht vorher schon verkauft wurde. Eine Wartepflicht auf höhere Angebote gibt es nicht.

 

Reparaturkosten

Das ist der Betrag, der für die sach- und fachgerechte Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt erforderlich ist. Ein Sonderproblem gibt es hier bei „Alten Autos“. Das sind laut BGH Fahrzeuge, die älter als 3 Jahre sind. Hier kann die Versicherung auf günstigere Werkstattalternativen verweisen. Die Gegenausnahme greift dann ein, wenn das Auto ständig in einer markengebundenen Fachwerkstatt gewartet und repariert wurde. Dies liest sich so:

a) Der Schädiger kann den Geschädigten gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien“ Fachwerkstatt verweisen, wenn er darlegt und beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt entspricht und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb einer markengebundenen Werkstatt unzumutbar machen würden.

b) Bei Fahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann der Verweis auf eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit in einer „freien“ Fachwerkstatt insbesondere dann unzumutbar sein, wenn der Geschädigte konkret darlegt, dass er sein Fahrzeug bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen und dies vom Schädiger nicht widerlegt wird att verweisen, wenn er darlegt und beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt entspricht und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb einer markengebundenen Werkstatt unzumutbar machen würden.

 

Wertminderung

Die Wertminderung – genauer gesagt merkantile Wertminderung – ist der Betrag, um den das Fahrzeug durch den Unfallschaden nach sach- und fachgerechter Reparatur weniger wert ist als ein Fahrzeug ohne Unfallschaden. Hier gibt es verschiedene Berechnungsmethoden, die der Sachverständige kombinieren muss, um den richtigen Betrag zu schätzen. Das Vorgehen der Versicherer, sich die ihnen günstigste Berechnungsmethode herauszupicken ist oft nicht von Erfolg gekränt.

 

5.Wie sieht das in einem Beispiel aus?

Wiederbeschaffungswert = 4150,00 EUR

Restwert = 1651,00 EUR

Reparaturkosten brutto : 4709,21 EUR


Der Wiederbeschauffungsaufwand beträgt hier (4150,00 EUR – 1651,00 EUR): 2499,00 EUR

Die Brutto-Reparaturkosten liegen darüber: 4709,21 EUR

(Achtung! Eine Wertminderung müsste dazu addiert werden. Die ist in diesem Gutachten aber nicht festgestellt worden.)

 

6. Was kann der Geschädigte ganz konkret verlangen?

Hier kommt es auf die Fallgestaltung an. Die hängen davon ab, was der Geschädigte mit dem Fahrzeug machen möchte. Im Einzelnen kann er für sein Fahrzeug folgendes fordern [1]:

Variante 1

Der Geschädigte repariert das Fahrzeug laut Gutachten. Er erhält die Brutto-Reparaturkosten nach Vorlage der Rechnung des Autohauses erstattet. Der nach § 249 BGB erstattungsfähige Schaden beziffert sich wie folgt:

Reparaturkosten = 4709,21 EUR

Kostenpauschale = 25,00 EUR

Nutzungsausfall = XX EUR

ggf. Wertminderung = XX EUR


Hinzu  kommen natürlich die Kosten für den Sachverständigen, sowie weitere nachweisebare Schadenpositionen.

Achtung! Nach einer Reparatur muss der Geschädigte das Fahrzeug in diesem Fall mindestens 6 Monate weiter nutzen. Verstößt er hiergegen und findet die Versicherung das heraus, kann sie die Reparaturkosten zurück verlangen und auf Totalschadenbasis abrechnen (siehe Variante 2).

Übrigens: Die Versicherung darf mit der Auszahlung nicht warten, bis die 6 Monate verstrichen sind. Sie hat nur einen Rückforderungsanspruch, wenn beim unechten Totalschaden gegen die Vorgaben der Rechtsprechung verstoßen wird.


Variante 2

Der Geschädigte lässt sein Fahrzeug nicht reparieren und möchte das Fahrzeug behalten. Dann erhält er von der Versicherung den Wiederbeschaffungsaufwand erstattet.  Der nach § 249 BGB erstattungsfähige Schaden beziffert sich wie folgt:

Wiederbeschaffungsaufwand = 2499,00 EUR

Kostenpauschale = 25,00 EUR


Variante 3

Der Geschädigte lässt sein Fahrzeug nicht reparieren und veräußert es laut Gutachten an den höchst bietenden Aufkäufer. Dann erhält er von der Versicherung den Wiederbeschaffungsaufwand und vom Aufkäufer den Restwert erstattet.  Der nach § 249 BGB erstattungsfähige Schaden beziffert sich wie folgt:

Wiederbeschaffungsaufwand  = 2499,00 EUR

Restwert = 1651,00 EUR

Kostenpauschale = 250,00 EUR


Variante 4

Diese Variante löst den größten Widerstand bei den Haftpflichtversicherungen der Geschädigten aus. Wir empfehlen dieses Vorgehen nicht. Der Geschädigte kann das Fahrzeug durch eine Reparatur wieder fahrfähig und verkehrssicher machen. Er muss es danach 6 Monate weiter nutzen. Der nach § 249 BGB erstattungsfähige Schaden beziffert sich wie folgt:

Netto-Reparaturkosten = 3957,32 EUR

Kostenpauschale = 25,00 EUR

Achtung! Hier prüfen die Versicherer sehr genau, ob die Kriterien der Rechtsprechung eingehalten worden sind. Der Versuch, hier mit einer Billigreparatur des Fahrzeugs „etwas gut zu machen“ führt oft zu langen Prozessen. Bis zu einer Entscheidung nach vielen Monaten oder ggf. Jahren muss das Unfallopfer auf sein Geld warten und die Reparatur aus eigener Tasche vorfinanzieren. Er muss auch damit rechnen, dass nach 6 Monaten eine Nachfrage kommt. Kann er dann nicht beweisen, dass er das Fahrzeug noch fährt, entstehen oft erhebliche Probleme.

Tip
Die unkomplizierteste Variante, den „unechten Totalschaden“ schnell und ohne Abzüge zu regulieren stellt hier entweder die Reparatur laut Gutachten oder die Veräußerung des Fahrzeugs dar.

 
 

Ihre Fragen zu diesem Thema Unechter Totalschaden beantwortet Herr

Rechtsanwalt Kirnberger Fachanwalt für Verkehrsrecht Kontakt


Fußnoten:

[1] Hinzu  kommen natürlich die Kosten für den Sachverständigen, sowie weitere nachweisebare Schadenpositionen.