202206.15
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Unfall und Sachverständiger

Die Abwicklung eines Verkehrsunfalls ist heute ohne Hilfe kaum Möglich. Ein Anwalt und ein Sachverständiger gehören unbedingt dazu. Denn auch die Versicherungen greifen immer mehr auf die Hilfe von Gutachtern zurück. Prüfdienstleister bearbeiten regelmäßig Schadenkalkulationen. Das Recht des Geschädigten, einen eigenen Anwalt und Sachverständigen beim Unfall hinzu zu ziehen muss jeder von Anfang an wahrnehmen. Denn der „freundliche Sachbearbeiter“ am Telefon ist gut geschult. Er hat nicht die Aufgabe, dem Unfallopfer möglichst viel Geld zu bezahlen; Im Gegenteil. Versicherungen sind Wirtschaftsunternehmen und versuchen selbstverständlich im eigenen Interesse möglichst wenig Schadenersatz zu bezahlen.


Die Qual der Wahl

Welchen Sachverständigen sollten Sie als Geschädigter aber auswählen? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Eine Suche bei google nach den Stichworten „Unfall Sachverständiger“ bringt aktuell ca 816.000 Ergebnisse. Ein paar Entscheidungshilfen gibt es allerdings doch.

Kein geschützter Begriff

Der „Kfz-Sachverständige“ ist kein Ausbildungsberuf oder Titel, der von einer Organisation verliehen wird. Der Begriff ist also nicht geschützt. „Sachverständiger“ oder „Gutachter“ darfs ich deswegen grundsätzlich jeder nennen. Eine Qualifikation ist damit noch nicht nachgewiesen. Was sollte der Gutachter also leisten können? Der Sachverständige nimmt die Schäden, die durch den Unfall entstanden sind, genau unter die Lupe und erstellt ein Gutachten. Dafür dokumentiert er sämtliche Mängel, die nachweislich auf den Unfall zurückzuführen sind, und schätzt den nötigen Aufwand für eine Reparatur. Er macht darüber hinaus Angaben zum Widerbeschaffungswert und Restwert, sowie zu eventuellen Abzügen für Wertverbesserungen und Nutzungsausfallansprüche. Das geht nicht ohne fundierte Aus- und Weiterbildung.

BVSK

Die größte Organisation von Sachverständigen, welche die Qualität ihrer Mitglieder sicherstellen will, ist der Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen (BVSK). Auf seiner Homepage beschreibt sich der Verband wie folgt:

Der Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen e.V. -BVSK- steht seit seiner Gründung 1959 für Qualität, Kompetenz und Unabhängigkeit seiner Mitglieder. Als größter Zusammenschluss freiberuflich tätiger Kfz-Sachverständiger in Deutschland versteht sich der Verband heute als moderner Dienstleister nicht nur für freiberufliche Kfz-Sachverständige. Justiz, Versicherungswirtschaft, Anwaltschaft, Verbraucherschutzverbände und das Kfz-Gewerbe selbst finden bei unseren Mitgliedern unabhängigen Sachverstand. Der jährlich stattfindende Sachverständigentag ist eine herausragende Fachveranstaltung im Kfz-Sachverständigenwesen.

Wir arbeiten regelmäßig mit Sachverständigen zusammen, die im BVSK organisiert sind und haben dabei gute Erfahrungen gemacht.

Sachverständigenorganisationen

Daneben gibt es weitere Sachverständigenorganisationen, wie zB den TÜV oder die DEKRA. Auch diese bieten ihren Mitgliedern die Möglichkeit ständiger Fort- und Weiterbildung. Bitte lassen Sie sich aber versichern, dass das Hauptgeschäft des jeweiligen Gutachters nicht darin besteht, für Versicherungen Gutachten zu schreiben oder gar so genannte Prüfberichte (siehe dazu unten mehr). Ein Gutachter kann zwar -anders als ein Rechtsanwalt- keine Interessenkollision haben. Eine Frage des Compliance liegt aber doch vor.

Öffentlich bestellt und vereidigt

Eine weitere Qualitätskontrolle, die strengen Anforderungen unterliegt, ist die öffentliche Bestellung eines Sachverständigen. Die öffentliche Bestellung und Vereidigung von Sachverständige auf den Gebieten der Wirtschaft durch die erfolgt im Rahmen von § 36 Gewerbeordnung (GewO). Die öffentliche Bestellung von Sachverständigen ist die Zuerkennung einer besonderen Qualifikation. Die Bestellung erfolgt durch die örtlichen Industrie- und Handelskammern (IHK). Sie ist in der jeweiligen Sachverständigenordnung geregelt. Die öffentliche Bestellung und Vereidigung erfolgt auf Antrag und ist nach § 3 Sachverständigenverordnung (SVO) an bestimmten Voraussetzungen geknüpft. Die wesentlichen Voraussetzungen sind eine abstrakte Bedürfnisprüfung, die Feststellung der „besonderen Sachkunde“ und der Rechtskenntnisse, die im Zusammenhang mit der Sachverständigenausübung erforderlich sind sowie die Feststellung der persönlichen Eignung. Grundsätzlich ist es erforderlich, dass der Sachverständigen-Bewerber vor Antragstellung auf dem beantragten Sachgebiet bereits gutachterlich tätig war. Die Bestellung erfolgt immer nur für ein bestimmtes Fachgebiet. Ähnlich wie die Verleihung eines Fachanwaltstitels an einen Rechtsanwalt. Für Verkehrsunfälle sind Sachverständige für die Bewertung von Kfz-Schäden besonders ausgebildet.

Empfehlung von Anwalt und Autohaus

In der Praxis empfiehlt das Autohaus oder der Rechtsanwalt einen Sachverständigen. Wenn dieser Gutachter den obigen Kriterien unterliegt, können Sie ihn bedenkenlos beauftragen. Natürlich bedeutet das Fehlen einer Verbandsmitgliedschaft oder Mitgliedschaft in einer Prüforganisation nicht, dass der Sachverständige „schlecht“ ist. Eine neutrale Prüfung ist Ihnen dann aber nicht möglich. Wir haben leider die Erfahrung gemacht, dass in einigen Autohäusern der „Cousin“ als Gutachter auftritt und dann eine Leistung abgibt, die mit der Schulnote „ausreichend“ zu bewerten wäre. Unser Tip lautet also: hinterfragen Sie aktiv die Qualifikation. „Ich habe hunderte Gutachten gemacht“ ist da leider nur ein Teil.


Kosten des Gutachtens

Hier gilt: Wenn der Unfallverursacher haftet, muss er (bzw. seine Haftpflichtversicherung) auch die Kosten eines Gutachters tragen.

Erforderlicher Aufwand zur Schadenbeseitigung

Der Bundesgerichtshof führt dazu gebetsmühlenartig aus:

Der Geschädigte kann vom Schädiger nach § 249 II 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen. Dabei ist der Geschädigte grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Marktes verpflichtet, um einen für den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen (BGH, Urteil vom 11.2.2014 – VI ZR 225/13 -)

Auf deutsch heißt das: Die Kosten eines Gutachters müssen vom Geschädigten übernommen werden!

Gebührenfragen

Gutachten sind teuer. Der Sachverständige will von seiner Arbeit schließlich leben. Dazu muss er stets die aktuelle Technik haben, aber auch die notwendige Software, für die er Lizenzkosten bezahlt. Haftpflichtversicherungen versuchen dem gegenüber regelmäßig, die Sachverständigenkosten zu kürzen. Mit mäßigem Erfolg.

Honorargrundlage

  • BVSK-Befragung
    Die größte Position in einem Gutachten ist die Grundgebühr. Wenn keine gesonderte Vereinbarung dazu getroffen worden ist, muss die so genannte übliche Vergütung gezahlt werden. Das ist im Zweifel zu schätzen. Die herrschende Rechtsprechung ist sich dabei einig. Insbesondere das Landgericht Saarbrücken sieht die BVSK-Befragung 2020 als geeignete Schätzgrundlage an. Darin werden Honorare anhand der Schadenhöhe (je nach Reparaturkosten oder Totalschaden) in verschiedene Honorarkorridore eingeteilt. Sie beruhen auf der Befragung tausender Gutachter und stellen damit einen repräsentativen Querschnitt aller Abrechnungen dar. Die Befragung wird regelmäßig durchgeführt und die Tabelle aktualisiert.
  • JVEG
    Neben dem Grundhonorar entstehen auch Nebenkosten. Das sind Schreibkosten, Portokosten, Telefonkosten, Kosten für Lichtbilder, Datenbankauskünfte, etc. Das Landgericht Saarbrücken (Urteil vom 13.01.2022 – 10 S 64/21) entscheidet zu den Nebenkosten stets wie folgt:

    Vielmehr richtet sich die Höhe der üblichen Vergütung in Fällen der vorliegenden Art – ohne dass es insoweit einer Beweisaufnahme bedürfte – nach den Sätzen des JVEG.

Dabei billigt es dem Sachverständigen eine Überschreitung der Sätze um bis zu 20% zu:

Allerdings erkennt die zugrundeliegende Rechtsprechung der 13. Zivilkammer die Ersatzfähigkeit von Sachverständigenkosten bis zu einer Höhe von 20% über den Sätzen des JVEG an, weil der Geschädigte, der ein Sachverständigengutachten beauftragt, bis zu dieser Grenze eine deutliche Überhöhung der Sachverständigenkosten, die einer Erstattungsfähigkeit entgegenstünde, nicht erkennen muss.

Auswahlverschulden

Wir lesen bei der Abwicklung von Unfallschäden immer wieder, dass die Kosten „erkennbar überhöht“ gewesen seien. Deswegen werde keine Zahlung erfolgen. Was meint die Versicherung damit? Auch das hat der Bundesgerichtshof seit langem geklärt:

Einwendungen gegen die Höhe der Sachverständigenkosten können dem Geschädigten gegenüber nur erhoben werden, wenn ihn ein Auswahlverschulden trifft oder die Überhöhung derart evident ist, dass eine Beanstandung von ihm verlangt werden muss; der Geschädigte ist insbesondere nicht verpflichtet, vor der Auftragserteilung Preisvergleiche anzustellen (BGH Urt. v. 11.2.2014 – VI ZR 225/13).

Ich habe es in meiner Praxis bei tausenden von Unfällen noch nicht erlebt, dass die Versicherung die Kenntnis des Geschädigten von einer Überhöhung beweisen konnte.

Einzelfall Fahrtkosten

Einen Einzelfall gibt es allerdings, bei dem ein Geschädigter gegen seine Schadenminderungspflicht verstoßen könnte: Die Fahrtkosten. Wie ich oben ausgeführt habe, gibt es tausende von Gutachtern. Auch im Umkreis jedes Geschädigten. Dabei kommt es natürlich darauf an, ob der Unfall im ländlichen Raum oder in einem Ballungsgebiet passiert ist. Wenn dann ein Autohaus eine Empfehlung ausspricht kann es sein, dass dies nicht der nächste Gutachter ist; Vielmehr derjenige, mit dem die Firma gute Erfahrungen gemacht hat. Wenn er dann erheblich höhere Fahrtkosten zur Begutachtung geltend macht, als der „Kollege ums Eck“ kann die Versicherung einen Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht einwenden. Die Lösung ist hier einfach: Der empfohlene Gutachter verzichtet auf die Fahrtkosten, welche den „nächsten Weg“ überschreiten.


Prüfberichte der Versicherungen

Auch wenn Sie sich als Geschädigter penibel an die obigen Kriterien gehalten haben, kommt es vor, dass Ihnen ein so genannter Prüfbericht ins Haus flattert. Damit will die Haftpflichtversicherung begründen, dass die Gutachterkosten überhöht sind. Lassen Sie sich damit nicht abspeisen. Ihr Anwalt prüft, ob der Abzug berechtigt ist. Bei seriösen Sachverständigen ist das äußerst selten der Fall. Warum?

Nur Parteivortrag

Bei einem Prüfbericht handelt es sich nicht um ein Gutachten. Auch wenn der Anschein erweckt werden soll. Die Gerichte weisen darauf hin, dass ein solcher Bericht nur als qualifizierter Parteivortrag zu bewerten ist. Eine besondere Beweiskraft ist damit nicht verbunden. Also besteht kein Grund zur Panik.

Teilweise auf Anweisung der Versicherungen

Teilweise findet sich in den Prüfberichten der Hinweis, dass „Laut Vorgabe der Auftraggeberin“ eine bestimmte Position moniert wird. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Dienstleister Abzüge im Auftrag der Versicherung vornimmt. Und zwar unabhängig davon, ob dies von den Gerichten auch so gesehen wird oder nicht.

Werkstatt- und Diagnoserisiko

Zuletzt gibt es noch eine Besonderheit in der Rechtsprechung. Wenn der Geschädigte den Gutachter schon bezahlt hat, hat dessen Rechnung eine besondere Indizwirkung: Es ist davon auszugehen, dass die Rechnung richtig ist. Dazu hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem  Urteil vom 05.06.2018 – VI ZR 171/16 ganz eindeutig Stellung bezogen:

Der Grund für die Annahme einer Indizwirkung des von einem Geschädigten tatsächlich erbrachten Aufwands bei der Schadensschätzung liegt darin, dass bei der Bestimmung des erforderlichen Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die besonderen Umstände des Geschädigten, mitunter auch seine möglicherweise beschränkten Erkenntnismöglichkeiten zu berücksichtigen sind. Diese schlagen sich regelmäßig im tatsächlich aufgewendeten Betrag nieder, nicht hingegen in der Höhe der vom Sachverständigen erstellten Rechnung als solcher.

Um Probleme zu vermeiden, raten wir Ihnen also dringend dazu, von Anfang an einen Rechtsanwalt mit der Unfallabwicklung zu beauftragen. Denn auch seine Kosten werden von der Gegnerischen Haftpflichtversicherung für den Fall der Haftung übernommen. Bei uns ist der richtige Ansprechpartner:


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