202211.05
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Hier liegt ein Behandlungsfehler vor

Ärztepfusch, Falschbehandlung und Aufklärungsfehler -Schadenersatzansprüche gegenüber Arzt und Krankenhaus? Wann erhalte ich als Patient Schmerzensgeld und Schadenersatz von meinem behandelnden Arzt oder Krankenhaus? Die Frage ist im Medizinrecht rechtlich einfach zu beantworten: Dann wenn die Antwort lautet: Hier liegt ein Behandlungsfehler vor!

Inhalt:




Fallgruppen der Haftung bei einem Behandlungsfehler

Ein Arzt oder Krankenhaus haftet grundsätzlich nur wenn der Patient einen

  • Aufklärungsfehler oder
  • Behandlungsfehler

des Arztes nachweisen kann. Der Arzt muss den Patienten nach den jeweils geltenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards   behandeln. Dies hat z.B. zur Folge, dass ein Arzt einen Patienten an ein spezialisiertes Krankenhaus verweisen muss, wenn ein Eingriff nur dort ohne bzw. mit erheblich vermindertem Komplikationsrisiko vorgenommen werden kann. Das Unterlassen dieser Maßnahme -Verweisen an ein spezialisiertes Krankenhaus- ist ein Behandlungsfehler, wenn ein sorgfältiger und gewissenhafter Arzt die Behandlung hätte ablehnen müssen. Das ist anzunehmen, wenn die Ausstattung des Arztes sich in der unteren Bandbreite des ärztlichen Behandlungsstandard bewegt. Die ist z.B. der Fall, wenn es dem ärztlichen Standard entspricht in einer nicht nur unterdurchschnittlich ausgestatteten Praxis spezielle Geräte für Fälle vorzuhalten, in denen sich Schrauben von einer winkelstabilen Platte schwer lösen. (OLG Karlsruhe Urteil vom 13.12.2017 AZ.:7 U 90/15).  Das Gericht hat einen Behandlungsfehler des Arztes angenommen wegen unzureichender Ausstattung für eine ambulante Operation:

Das Unterlassen dieser Maßnahme ist ein Behandlungsfehler, wenn ein sorgfältiger und gewissenhafter Arzt die Behandlung hätte ablehnen müssen. Letzteres ist anzunehmen, wenn seine Ausstattung sich in der unteren Bandbreite des ärztlichen Behandlungsstandards bewegt



Wann liegt ein Behandlungsfehler vor?

Liegt eine fehlerhafte Behandlung vor, wenn ein Arzt nicht rechtzeitig an einen Facharzt oder Krankenhaus überweist?

Bei dem zwischen dem Patienten und dem Arzt abgeschlossenen Behandlungsvertrag handelt es sich um einen Dienstvertrag, was bedeutet, dass der Arzt dem Patienten regelmäßig nur eine fachgerechte, dem wissenschaftlichen Stand entsprechende Behandlung schuldet, also keinen Behandlungs- oder Heilerfolg. Allein bei einem Misserfolg der eingeleiteten Behandlungsmaßnahmen liegt also kein Behandlungsfehler vor.

Der Arzt ist verpflichtet, den Patienten nach dem anerkannten und gesicherten Standard der medizinischen Wissenschaft zu behandeln. Maßgebend ist, was von einem sorgfältigen Arzt eines bestimmten Fachgebietes erwartet werden kann (objektiver Facharztstandard)

Der Standard gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann.

Beachtet ein Arzt bei der Behandlung des Patienten die medizinisch gebotenen Vorgehensweisen nicht, die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft des jeweiligen Fachgebietes geboten sind, begründet dies einen Behandlungsfehler.

Genügen die Kenntnisse oder Fertigkeiten des behandelnden Arztes nicht dem Facharztstandart in diesem Gebiet, so hat er einen entsprechenden Facharzt konsiliarisch beizuziehen oder den Patienten zu einem Facharzt oder in ein Krankenhaus mit entsprechender fachärztlicher Abteilung zu überweisen. Tut er dies nicht, liegt ein Behandlungsfehler in der Form des “Übernahmeverschuldens” vor.

Das Gericht wird regelmäßig zur Beurteilung ob der Arzt den Patienten nach diesem Standard behandelt hat oder nicht ein medizinisches Gutachten einholen.

Welche Ansprüche gibt es wenn ein Behandlungsfehler vorliegt?

  • Schmerzensgeld
    Zunächst hat der betroffene Patient selbst, der fehlerhaft behandelt wurde, einen Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld.
  • Hinterbliebenengeld
    Nicht nur der Patient selbst kann ein Schmerzensgeld für fehlerhafte Behandlung erhalten, sondern auch nahe Angehörige, wenn der Patient verstirbt ein sogenanntes Hinterbliebenengeld nach § 844Abs.3 BGB in Höhe von durchschnittlich 10.000 Euro. (OLG Köln Urteil vom 5.5.2022 Az.: 18 U 168/21) Das Landgericht Dessau-Roßlau Urteil vom 22.10.21 Az.: 4 O 220/20 hat sogar ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 12.000 Euro dem Vater eines Opfers eines Gewaltdeliktes zugesprochen.
  • Haushaltsführungs- und Verdienstausfallschaden
    Neben Schmerzensgeld können dem Patienten auch weiter Schadenersatzansprüche wie ein Anspruch auf Haushaltsführungsschaden oder Verdienstausfallschaden zustehen.


Wann liegt ein Aufklärungsfehler vor?

Es liegt ein Behandlungsfehler vor, wenn eine fehlerhafte oder unterbliebene Aufklärung nachgewiesen werden kann.

Fehlerhafte Aufklärung

Der Arzt muss den Patienten entsprechend dem § 630e BGB über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können. Auch muss die Aufklärung für den Patienten verständlich sein. Die bedeutet, dass der Arzt einen Dolmetscher hinzuziehen muss, wenn der Patient fremdsprachig ist und die Aufklärung in deutscher Sprache nicht versteht. Die Kosten eines Dolmetschers trägt der Patient. Übersetzt ein Angehöriger muss sich der Arzt zumindest von der Plausibilität der geleisteten Übersetzung überzeugen. Bei erkennbaren Sprachschwierigkeiten des Patienten muss der Arzt, der in deutscher Sprache aufklärt, in geeigneter Weise überprüfen, ob der als Dolmetscher agierende Familienangehörige seine Erläuterungen verstanden hat. Die ordnungsgemäße Aufklärung muss der Arzt beweisen. (OLG Köln, Urteil vom 23.1.2019, AZ.:5 U 69/16). Kann der Sachverhalt nicht mehr aufgeklärt (sog. non liquet) werden, geht das zu Lasten des behandelnden Arztes:

Das nonliquet geht in beiden Fällen zu Lasten der Beklagten, die für das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Aufklärung beweisbelastet sind.

Die Aufklärung kann entbehrlich sein

Der Aufklärung des Patienten bedarf es nicht, soweit diese ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände entbehrlich ist, insbesondere wenn die Maßnahme unaufschiebbar ist oder der Patient auf die Aufklärung ausdrücklich verzichtet hat (§630e Abs.3 BGB).

Wählt der Arzt eine Neulandmethode, hat er den Patienten über diesen Umstand sowie über die alternativen Behandlungsmethoden aufzuklären. Es bedarf einer besonderen Aufklärung über die Neulandmethode, wenn diese noch Keine Standardmethode darstellt. Bei einem neuen Operationsverfahren (Netzimplantat bei Senkungsoperation) ist die Patientin ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass unbekannte Komplikationen auftreten können. Beim Auftreten einer persistierenden Schmerzhaftigkeit der Scheide, kann ein Schmerzensgeld von 35.000 Euro angemessen sein, so OLG Hamm vom 23.1.2018 Az.:26 U 76/17.

Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erfordert aber eine Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten

Ohne ausreichende Aufklärung kann die erforderliche Einwilligung des Patienten fehlen.

Grundsätzlich ist eine ärztliche Behandlung ohne Einwilligung des Patienten widerrechtlich. Insoweit muss daher der Arzt nachweisen, dass es einen Rechtfertigungsgrund in Form einer wirksamen Einwilligung gibt, die zunächst eine ausreichende Aufklärung erforderlich macht. Der Patient kann nur wirksam einwilligen, wenn er ordnungsgemäß aufgeklärt wurde hinsichtlich des geplanten Eingriffs oder der Behandlung. Es dürfen dabei an den Arzt aber keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Daher stellt die Existenz einer unterzeichneten Einwilligungserklärung auf einem individualisierbaren Aufklärungsbogen ein Indiz dafür dar, dass ein tatsächliches Aufklärungsgespräch über die Behandlung und die damit verbundenen Risiken erfolgt ist.

Das Gericht prüft und beurteilt jedoch im Einzelfall, ob eine ausreichende Aufklärung erfolgt ist. So hat das OLG Hamm in seiner Entscheidung vom 15.12.2017 Az.: 26 U 3/14 entschieden, dass der Patient bei einer relativen Indikation zur Operation an der Lendenwirbelsäule nicht ausreichend über die echte Alternative einer konservativen Behandlung aufgeklärt wurde und hat dem Patienten ein Schmerzensgeld zugesprochen. Denn hier liegt ein Behandlungsfehler vor.


Fazit

Wenn ein Aufklärungs- und Behandlungsfehler vorliegt, hat der Patient gegenüber dem behandelnden Arzt oder Krankenhaus einen Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld für den dadurch kausal entstandenen Schaden. Frau Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht Sonja Thiry-Kirsch berät Sie zu diesem und anderen Themen aus dem Medizinrecht.


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