Wie früh man seinem Reiserücktrittversicherer Mitteilung erstatten muss, dass man bedingungsgemäß die Reise nicht antreten kann, hatte kürzlich das AG Bergisch Gladbach zu entscheiden.
Der Versicherungsnehmer hatte für sich und seine Frau eine Reise gebucht. Diese sollte im September 2018 beginnen. Im Juli stürzte die Ehefrau schwer mit dem Fahrrad. Mitte August wurde im Krankenhaus festgestellt, dass sie ein Hämatom (cSDH)/Hygrom rechts temporoparietal
(maximal 7 mm breit) hatte. Typisch hierfür ist, dass Symptome nicht
unmittelbar auftreten, sondern erst nach einigen Tagen. Jurze Zeit später wurde
sie aus dem Krankenhaus entlassen. Bei einer
Kontrolluntersuchung kurz vor Reiseantritt stellte sich heraus, dass sich das
Hämatom stark vergrößert hatte und frischblutige Anteile zu
erkennen waren. Es war daher eine Operation erforderlich, die einen Tag vor Reiseantritt stattfand.
Der Versicherer stellte sich auf den Standpunkt, dass die Reise zu spät storniert worden sei. Der Versicherungsnehmer hätte nach seiner Auffassung früher erkennen müssen, dass ein Antritt der Reise nicht in Frage kommt. Dann wären die Stornokosten geringer ausgefallen. Der Versicherer stützt sich folglich auf eine Obliegenheitsverletzung.
Das Amtsgericht sah dies jedoch völlig anders als die Versicherung und verurteilte diese, die vollen Stornokosten zu zahlen. Eine Obliegenheitsverletzung war für das erkennende Gericht nicht gegeben. Streitentscheidend war die Frage, ob eine "unverzügliche" Stonierung im Sinne der Bedingungen stattfand. Es handelt sich hier um eine vertragliche
Ausgestaltung, die die Verhaltensmaßstäbe, die aus § 254 BGB allgemein
entspringen, präzisiert. Zur Ermittlung der Obliegenheiten eines
Versicherungsnehmers bei einer Reiserücktrittversicherung sind also die
Maßstäbe des § 254 BGB, der seinerseits auf dem Gebot von Treu und
Glauben fußt (§ 242 BGB) anzuwenden. Hieraus folgt, dass das Verhalten
des VN nicht in einer solchen Weise ursächlich für den Schadensfall oder
die Schadenshöhe sein darf, dass sich seine uneingeschränkte
Inanspruchnahme der Versicherung als Verstoß gegen Treu und Glauben
darstellt.
Für den Reiserücktritt bedeutet das, dass
sich einerseits der Versicherungsfall selbst und das sich daran
anschließende Verhalten nicht als ungebührliches, schadensförderndes
Verhalten darstellen darf. Für den maßgeblichen Stornierungszeitpunkt
(„unverzüglich“ gem. Bedingungen) ist zu beachten, dass hier das
Prognoserisiko Teil des abgesicherten Schadensszenarios ist. Beinahe
jeden Reisestornierungsfrage wohnt ein mitunter sogar großer
prognostischer Teil inne: Dass ein Reiseantritt völlig ausgeschlossen
ist, mag im Einzelfall zutreffen.
Oftmals lassen sich aber Heilungsverlauf,
-geschwindigkeit und -wahrscheinlichkeit nur mit Wahrscheinlichkeiten
für die Zukunft beurteilen und nicht abschließend sicher für die Zukunft
feststellen. Ist dies der Fall, ist dem VN ein erheblicher
Ermessensspielraum zuzugestehen.
Und so wurde im Ergebnis dem Versicherungsnehmer zu Recht ein Anspruch aus dem Versicherungsvertrag zugesprochen.